SCWC_GermanySNAKE CRANE WING CHUN ist eingetragenes Kulturerbe in Hong Kong. Leung Lan Kwai, der Gründervater des wing chun (mit dem Spitzname Ng Mui), lehrte unsere Kampfkunst Law Man Kung. Er brachte es seinem Sohn Law Tiu Wen bei. Dieser wiederum übertrug all sein Wissen auf seinen Sohn Law Ting Chau. Auch er lehrte das wing chun seinem Sohn Law Chiu Winh. Dieser übertrug sein Wissen keinem leiblichen Sohn. Er nahm Yung Kwok Wing (Wayne Yung) in seine Familie (Mun) auf und übergab ihm all sein Wissen, Können und sämtliche Aufzeichnungen, die seit der Antike gehütet wurden.

Sifu Wayne Yung nahm im März 2016 Thomas Klüh in seine Mun auf, der nun SNAKE CRANE WING CHUN in Deutschland repräsentiert.

Hier der Erfahrungsbericht des Aufnahmerituales:

Vorgeschichte:

Ich betrieb um damaligen Zeitpunkt bereits seit mehr als 25 Jahren Yip Man wing chun und hatte in dieser Linie einen offiziellen Sifu - Titel erhalten.

Für mich war es immer das beste Selbstverteidigungssystem, das uns zur Verfügung stand. Ich wusste allerdings auch, dass uns viele Informationen – aus welchen Gründen auch immer - vorenthalten wurden. Hier hatte mein damaliger Sihing eine unglaubliche Recherche- und Entwicklungsarbeit geleistet, um die vielen „Ungereimtheiten“, die unser System bis dahin hatte, bestmöglich auszumerzen.

Doch war es immer mein größter Wunsch, alle Geheimnisse des wing chun direkt von der “Quelle” zu erfahren. Ich war allerdings der Überzeugung, dass diese Geheimnisse entweder mit Yip Man zu Grabe getragen wurden oder gar er selbst nicht eingeweiht war (er erlernte wing chun mit ca. 9 Jahren).

Nun bin ich während meiner Recherchearbeiten darauf gestoßen, dass parallel zu der Yip Man Linie eine Familie existiert, in der das wing chun seit Generationen nur in der Blutlinie weitergegeben wurde. Diese Familie bewahrte dieses Wissen und hielt es geheim – sie behüten im Prinzip seit Generationen den “heiligen Gral des wing chun”.

Im Jahre 2015 nahm ich Kontakt zu dem momentanen Erben dieser Familie auf. Zu meiner eigenen Überraschung antwortete er unmittelbar. Im Laufe der Zeit kamen wir uns immer näher und er beantwortete mir Fragen, die ich lange auf dem Herzen hatte. Alleine dadurch veränderte sich mein wing chun deutlich.

Unser Kontakt vertiefte sich dabei immer weiter. Sifu Wayne ließ mich von einem Aha-Erlebnis in das nächste taumeln. Zum Beispiel sind viele Übersetzungen, die wir bis dahin aus dem Chinesischen hatten, falsch. Es wurden die chinesischen Schriftzeichen von Chinesen nach heutigem Wissensstand gedeutet. Allerdings sind die Schriften in antikem und zusätzlich hochgebildeten Chinesisch verfasst. Die Zeichen sind dieselben wie die heutigen, die Bedeutungen jedoch vollkommen unterschiedlich.

So erhielt ich durch Sifu Wayne immer mehr Tiefenverständnis, was für mich bereits ein unglaubliches Geschenk war.
Doch dann geschah etwas noch Unglaublicheres! Sifu Wayne sagte, dass es ihn freuen würde, mich in seine „wing chun Familie“ – „SNAKE CRANE WING CHUN MUN“ - aufzunehmen.

wing chun Grünstadt

Erfahrungsbericht meiner Hong Kong Reise und meines Aufnahmerituals in die SNAKE CRANE WING CHUN MUN

Mittlerweile hatte ich bereits zwei Mal meinen Sihing Ridha Lhiba in Nizza besucht und vieles über SNAKE CRANE WING CHUN erfahren und gelernt. Nun war es an der Zeit, meinen Sifu – Sifu Wayne Yung – in Hong Kong zu besuchen, von ihm unterrichtet zu werden und meine Bai Si Zeremonie – die traditionelle Zeremonie um in die SNAKE CRANE WING CHUN MUN (Familie) aufgenommen zu werden – durchzuführen.

Also ab nach Hong Kong. Dazu muss ich sagen, ich reise nicht gerne. Und schon gar nicht in große, unübersichtliche, hektische Städte. Irgendwie habe ich da immer ein mulmiges Gefühl. Aber das, was mich in Hong Kong erwartet, war ja auf jeden Fall jede Strapaze wert. In Hong Kong angekommen erwartete ich Beschilderungen, die mir zeigen, wo ich mein Gepäck finde. Doch fand ich nur Bezeichnungen, die ich nicht verstand. Also folgte ich dem Schild, das mir am wenigsten falsch erschien. Nach langem Fußmarsch und etlichen Rolltreppen und dem totalen Verlust meiner Orientierung stand ich plötzlich vor einer U-Bahn.

„Ich steige doch in keine U-Bahn, von der ich nicht mal weiß wohin sie fährt und das ohne mein Gepäck“, dachte ich verzweifelt.

Aber es gab keine andere Möglichkeit. Zum Glück fand ich einen freundlichen Chinesen, der mich „an die Hand“ nahm und ich so mein Gepäck finden konnte. Nachdem ich endlich meinen Koffer hatte, entschied ich mich, lieber ein Taxi zu nehmen, das mich direkt zum Hotel bringt, als in den Zug oder Bus zu steigen, um dann irgendwo in Hon Kong zu stehen und nicht zu wissen, wo ich bin. Also direkt zum Taxistand, dem Fahrer die Adresse des Hotels unter die Nase gehalten und los geht’s. Nach 1 Stunde standen wir jedoch mitten in Hong Kong in einem niemals endenden Stau. Plötzlich gab mir der Fahrer die Rechnung in die Hand mit den Worten:

„直然后离开,然后直然“

Kein Wort verstanden stand ich nun irgendwo in Hong Kong mit meinem Koffer und hatte keine Idee wo ich war.

Irgendwie und irgendwann kam ich dann doch in meinem Hotel an. Ich hatte es geschafft, ich war in Hong Kong und konnte mich jetzt auf das Training und die Bai Si Zeremonie freuen. Beim Einchecken erfuhr ich, dass Sifu Wayne bereits auf mich gewartet hatte und mich zum Essen einladen wollte. Was für eine Ehre, Sifu wollte mich persönlich empfangen. Aber leider hatten wir uns verpasst. Aus der Not eine Tugend gemacht dachte ich, nach 24 Stunden Anreise ist eine Dusche auch eine gute Idee. Kaum fertig mit Frischmachen, standen Sifu und Sam (einer meiner Sihings) bereits vor meiner Tür.

„Wie wird er wohl sein?“ fragte ich mich. Wir hatten bis dahin bereits zig Stunden per Videokonferenz und Chat verbracht. Dabei hatte ich bereits viel von ihm gelernt. Aber face to face ist nochmal etwas anderes.

Snake Crane Wing Chun Germany1Ich öffnete die Tür und es kam mir sofort Herzlichkeit entgegen. Und dann ging es auch schon los – wir fingen an zu trainieren und ich bekam viele Hintergrundinformationen. Da ich noch nichts gegessen hatte, gingen wir in ein Fast Food Restaurant und trainierten dort weiter. Kann man mit einem Burger in der Hand dan chi (einarmiges chi sao) machen? Natürlich kann man das! Was denken wohl die anderen Leute im Restaurant? Egal, wir hatten alles um uns herum vollkommen ausgeblendet. Um 2 Uhr nachts nach einer 20 stündigen Anreise und anschließend 7 stündigem Training ging ich dann endlich ins Bett. Aber kann man nach einem solchen Tag schlafen? Na ja – 3 Stunden. Also am nächsten Morgen nach dem Frühstück machte ich mich auf, mir Hong Kong ein wenig anzuschauen. Ich ging aus dem Hotel und kam direkt in einen Monsunregen – als hätte mir jemand einen Eimer Wasser übergeschüttet. Tapfer weitergegangen und nichts Schönes gesehen. Okay, zurück ins Hotel, Sifu kommt eh gleich.

An diesem Tag wieder Training bis 2 Uhr nachts. Unfassbar, Sifu Wayne der offizielle Vertreter der SNAKE CRANE WING CHUN ASSOCIATION nimmt sich so viel Zeit für mich alleine! Und dieser Mann ist unglaublich. Ich griff ihn an und es hagelten Schläge auf mich ein, als wenn ich unter eine Nähmaschine geraten wäre und das in einer Geschwindigkeit, dass ich seine Hände nicht mehr sehen konnte. Gleichzeitig mit einer Präzision, dass ich jeden Schlag spürte, ohne verletzt zu werden (er berührte meine Lippe, als wenn eine Fliege darauf gelandet wäre – und das mit dieser Geschwindigkeit und Power – unfassbar).

Also um 3 Uhr ins Bett und 4 Stunden geschlafen. Frühstück, kurz ausruhen und weitertrainieren. Diesmal brachte Sifu Wayne meinen Sihing Wallace und einen Schauspieler mit. Sifu coacht etliche Kung Fu Schauspieler. Und auch an diesem Tag bekam ich wieder viele Informationen über alles, was ich je wissen wollte und ein hervorragendes Training. Siu Lim Tao, Chum Kiu und Biu Gee, die seit Gründung des wing chun unverändert rein geblieben sind. Um 2 oder 3 Uhr nachts war der Trainingstag zu Ende.
Nach 4 Stunden Schlaf einem guten Frühstück und einer kurzen Pause ging es wieder los. Chi Sao Training! Das chi sao, das ich im SNAKE CRANE WING CHUN erlebte, hatte nicht viel mit dem zu tun, was ich bis dahin praktizierte. Also chi sao bis zum „geht nicht mehr“. Gegen Abend fanden sich dann meine Sihings und Sifu Ho ein. Sifu Ho ist Meister der eisernen Ringe – einem vollkommen anderen Kung Fu Stil. So kam ich in den Genuss, auf einem Dach in Hong Kong mit dem Meister der eisernen Ringe zu trainieren – wie im Kino, nur bin ich diesmal in der Leinwand meines eigenen Filmes.

Snake Crane Wing Chun Deutschland1Nun begann meine Bai Si Zeremonie mit meinen Sihings und Sifu Ho als Zeugen. Sifu Wayne saß vor mir und meine Zeugen standen um mich herum. Ich kniete mich vor Sifu und sagte, dass es mir eine große Ehre wäre, wenn ich ein Teil der Mun werden dürfte und ich mich freuen würde, wenn er mich als seinen Schüler akzeptieren würde. Dabei überreichte ich ihm einen roten Umschlag als Geschenk. Dann reichte ich ihm eine Tasse Tee. Nachdem Sifu diesen Tee getrunken hatte, sagte er zu mir, dass er sich freue, mich in seiner Mun aufzunehmen. Er sprach auch davon, dass es für mich nun einiges zu lernen gäbe – SNAKE CRANE WING CHUN, Trainingsmethoden, Chinesische Kultur und einiges mehr. Er ernannte mich außerdem zum Repräsentanten für Deutschland und schenkte mir sein Vertrauen darin, dass ich SNAKE CRANE WING CHUN in Deutschland ehrenvoll und würdig vertreten und verbreiten werde. Nach dem er mir eine Urkunde und eine Fahne überreichte, wurde ich mit Glückwünschen von meinen Sihings in die Mitte der Familie aufgenommen. Dies alles war sehr bewegend für mich und auch jetzt beim Schreiben dieser Zeilen bin ich zu Tränen gerührt.

Nach der Zeremonie gingen wir alle samt zum Essen. Die Stimmung war ausgelassen und der Abend war toll. Nach dem Essen um 12 Uhr nachts dachte ich was für ein gelungener Tag und wollte ins Hotel gehen. Doch dann fragt mich Sifu:
„was hast du jetzt vor?“

„Ich leg mich schlafen.“, erwiderte ich hundemüde.

„WHAT?“, fragte er mit großen Augen.

„Ich trainiere noch.“, antwortete ich unsicher.

„Gut!“, sagte er zustimmend.

Also sind wir in den Stadtpark um noch 3 Stunden zu trainieren.

Snake Crane Wing Chun Germany2Nach 3 Stunden Schlaf und einem guten Frühstück ging ich aufs Dach des Hotels, um meine Formen zu üben. Einer der Angestellten sah auf meinem T-Shirt die Schriftzeichen des
SNAKE CRANE WING CHUN. Er fragte:

„Praktizieren Sie das?“.

„Ja, ich wurde von Sifu Wayne Yung in die Mun aufgenommen. Er hat mich als seinen discible akzeptiert.“, antwortete ich stolz.

Er ging einen Schritt zurück, sah mich mit großen Augen an und sagte:

„Woooooooooowwwwwwwww“. Als hätte er gerade eine Begegnung der dritten Art.

Hier erkannte ich, welch hohen Stellenwert SNAKE CRANE WING CHUN in Hong Kong hat. Was für eine Ehre, ein Teil dieser Familie geworden zu sein.

Auch die folgenden Tage stand wieder Training und Informationsfluss bis tief in die Nacht an:

  • Ich lernte Techniken, von denen ich noch nie gehört hatte. Zum Beispiel war die Technik „Ton Kiu“, die in meiner vorherigen Linie nicht existierte, von immenser Wichtigkeit.
  • Ich praktizierte Trainingsmethoden, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Zum Beispiel ist das „Chop Stick Training“ fantastisch, um seine Fertigkeiten zu entwickeln (wir fangen keine Fliegen mit den Stäbchen wie in Karate Kid und stechen auch niemandem ein Auge damit aus ;-) )
  • Ich erlernte bekannte Techniken vollkommen neu. Der SNAKE CRANE „Bong Sao“ hat mit dem „Bong Sao“, wie ich ihn kannte, nicht viel zu tun.
  • Ich erfuhr Kampfkonzepte, die den Kampf in ein vollkommen anderes Licht rückten.
  • Ich lernte den Unterschied zwischen Schlangen und Kranich Techniken. Erst die genaue Unterscheidung dieser Techniken ermöglichte es mir, diese korrekt auszuführen.
  • Ich lernte eine Schrittarbeit, die beim Rückwärtsgehen unter Druck deutlich besser funktionierte, als meine bisherige.
  • Ich erfuhr, dass Schlaf überbewertet ist ;-)

Ich war fasziniert von der Art, wie Sifu mir die Dinge immer sehr verständlich veranschaulichte. Die Beispiele, die er brachte, waren bildhaft und leicht umsetzbar. Außerdem identifizierte er meine spezifischen Probleme und Fehler sofort und gab mir unmittelbar Lösungen dafür, was mir viel unnötiges Training ersparte.

Sifu Wayne, meine Sihings Sam, Wallace und Lee Kai Ju nahmen sich dermaßen viel Zeit für mich, dass mir die Worte fehlen. Die Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und Selbstverständlichkeit, mich in Ihrer Mitte aufzunehmen überwältigten mich. So hätte ich mir eine wing chun Familie nicht mal im Traum vorgestellt. Irgendwie war ich noch immer Teil des besten Kung Fu Films, den ich je gesehen habe.

Wieder daheim in Deutschland bemerkte ich, dass sich in mir einiges verändert hatte. Es ging hierbei nicht um die Techniken, es hatte damit zu tun, dass ich fühlte, angekommen zu sein. SNAKE CRANE WING CHUN ist kein Prügelverein, es geht uns neben den Kampftechniken auch um die Transformation der Kampfkunst in unser Leben. Für mich war diese Reise also ein Ankommen und ein Neuanfang zugleich.

Abschließend kann ich sagen, ich habe in den 25 Jahren, in denen ich wing chun betreibe schon viel gesehen. Gute, weniger gute oder hervorragende Sifus. Aber Sifu Wayne ist in einem anderen Universum. Was er beherrscht ist mit nichts vergleichbar, das ich kenne.

Hinzu kommt, dass es sich für mich als Sifu total gut anfühlt, dass meine Schule nun traditionell verwurzelt ist, mit einem Stammbaum, der sich bis zu den Gründervätern zurückverfolgen lässt – faktisch, konzeptionell und energetisch.

Snake Crane Wing Chun Deutschland2Meinen herzlichsten Dank an Sifu Wayne Yung, Wallace Tse, Sam, Lee Kai Yu, Sifu Ho Hung Sun und meinen anderen Sihings für diese außergewöhnlichen Erlebnisse!